Edi Tyrmand (1917-2008)
Edi (Eta) Tyrmand (russische Schreibweise: Эта Моисеевна Тырманд) verbrachte ihre Jugend in Warschau. Damals lebten dort fast 400.000 Juden – die Stadt war nach New York das zweitgrößte jüdische Zentrum weltweit. Die jüdische kulturelle Umgebung prägte auch Tyrmands musikalisches Empfinden nachhaltig. Mit zwölf Jahren begann sie mit ihrer professionellen Musikausbildung an der Klavierabteilung des Warschauer Konservatoriums.
Der Überfall der deutschen Truppen auf Polen 1939 bedeutete einen abrupten Bruch in ihrem Lebensweg. Sie gehörte zu einer Gruppe von Studenten des Warschauer Konservatoriums, die sich zu diesem Zeitpunkt in einem Sommerlager im Osten des Landes befand. Einige junge Musiker, darunter Tyrmand und ihre Freunde, die Komponisten Genrikh Wagner (1922–2000) und Lew Abeliowitsch (1912–1985), entschieden sich zur Flucht in die Sowjetunion. Am Konservatorium in Minsk konnten sie dann ihr Musikstudium fortsetzen. Schon bald nahm Tyrmand aktiv am Musikleben in Minsk teil. Besonders eng wurde ihre Zusammenarbeit mit Mieczysław Weinberg, den sie noch aus Warschau kannte. Im belarussischen staatlichen Rundfunk traten sie in diesen Jahren unter anderem mit vierhändigen Jazz-Improvisationen auf.
Die Kriegsjahre 1941–1945 überlebte Tyrmand durch die Evakuierung nach Kirgisien. Ihre gesamte Familie wurde im Warschauer Ghetto ermordet. Nach dem Krieg verbrachte sie den Rest ihres langen Lebens in Minsk, sie genoss dort hohes Ansehen als Komponistin, Pianistin und Hochschullehrerin. Tyrmand wurde als erste Frau in den weißrussischen Komponistenverband aufgenommen und ihre Werke, insbesondere die Kammermusik, gehören in Weißrussland bis heute zum Konzertrepertoire. Außerhalb der ehemaligen Sowjetunion wurde ihre innige und farbenreiche Musik bisher kaum gespielt.
Schwerpunkte von Tyrmands Schaffen sind Vokalmusik (Chorwerke und Lieder) sowie Klavier- und Kammermusik für Violine bzw. Viola und Klavier. Außerdem schrieb sie ein paar Werke mit Orchester, darunter zwei Klavierkonzerte und eine Fantasie für Orchester mit Volksinstrumenten.
Porträtiert bei musica reanimata im 171. Gesprächskonzert am 23. Oktober 2025.