Julius Schloss Joachim (Yehoyachin) Stutschewsky (1891–1982)

Stutschewsky war Komponist und Cellist und zugleich einer der bedeutendsten Vorkämpfer und Propagandisten neuer jüdischer Musik. Er wurde in einer bekannten Klezmer-Familie in der heutigen Ukraine geboren und erhielt mit fünf Jahren Violinunterricht. Mit elf wechselte er zum Cello. Schon ein Jahr später wurde er Mitglied des Symphonieorchesters in Nikolaew.
1909 ging Stutschewsky nach Leipzig, um bei Julius Klengel zu studieren. Nach dem Abschluss seiner Studien 1912 entfaltete er eine intensive Konzerttätigkeit als Solist und Kammermusiker. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges übersiedelte er in die Schweiz, wo er ab 1918 die ersten Konzerte jüdischer Kunstmusik organisierte. 1924 zog er nach Wien und wurde dort zusammen mit Rudolf Kolisch Mitbegründer des berühmten Wiener Streichquartetts, das sich mit Uraufführungen von Werken der Neuen Wiener Schule um Arnold Schönberg einen internationalen Namen machte.
In Wien setzte Stutschewsky auch seine Tätigkeit auf dem Gebiet jüdischer Musik als Komponist, Interpret, Publizist und Organisator fort. Er war der Spiritus Rector des 1928 gegründeten Vereins zur Förderung jüdischer Musik und avancierte in den 1930er Jahren zum wichtigsten Theoretiker und Vermittler der Neuen Jüdischen Schule. Er organisierte Konzerte mit neuer jüdischer Musik in vielen europäischen Ländern und koordinierte ein umfangreiches Netzwerk jüdischer Musikorganisationen.
1938 floh Stutschewsky kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in die Schweiz und wanderte im selben Jahr nach Palästina aus, wo er zunächst weitere Konzerte neuer jüdischer Musik und Vorträge im ganzen Land durchführte. Seit den 1950er Jahren widmete er sich fast ausschließlich dem Komponieren. In seinem Schaffen verschmolz er das traditionelle jüdische Idiom mit einer bisweilen avancierten Musiksprache.

Stutschesky komponierte nicht nur für sein Instrument, das Violoncello, sondern auch Klavierwerke, Kammermusik mit Violine, Flöte oder Klarinette, Lieder und Orchesterwerke. Die relativ größte Verbreitung haben seine Studienwerke für Cello gefunden sowie seine zahlreichen instruktiven Ausgaben von Cellowerken älterer Komponisten. Von unschätzbarem Wert sind auch seine Schriften zur jüdischen Musik.
Ein ausführliches Werkverzeichnis ist im Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit enthalten: https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00001591

Porträtiert bei musica reanimata im 160. Gesprächskonzert am 9. November 2023.


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