Mieczysław Weinberg (auch Moishei Vainberg) (1918-1996)
Weinberg wurde als Sohn eines jüdischen Theatermusikers in Warschau geboren. Unklarheiten bestehen über sein Geburtsdatum. In den späteren offziellen Dokumenten ist 8. Dezember 1919 angegeben. Die kürzlich wieder aufgefundene Geburtsurkunde und die Bewerbung um die Aufnahme ins Konservatorium nennen den 12. Januar 1919. Weil der Komponist später stets sagte, dass er am 8. Dezember geboren sei, ist der 8.12.1918 als wirklicher Geburtstag anzunehmen. Die verspätete Eintragung am 12. Januar beruht wahrscheinlich auf der Absicht der Eltern, durch Überschreitung des Stichtags 1.1. eine zu frühe Einschulung zu vermeiden.
Schon im Alter von 6 Jahren begleite der Knabe seinen Vater zu Proben und Aufführungen. Ein paar Jahre später war er auch selbst als Pianist und Dirigent am Theater "Scala" tätig. 1931-1939 studierte er am Warschauer Konservatorium Klavier, in dieser Zeit begann er auch zu komponieren.
Als die Besetzung Warschaus durch deutsche Truppen unmittelbar drohte, flohen viele Einwohner in Richtung Osten. Weinberg gelang es als einem von wenigen, rechtzeitig die Grenze zur Sowjetunion zu überwinden. Seine sämtlichen Verwandten fielen in Polen dem Nazi-Terror zum Opfer. Weinberg hatte das Glück, dass er in Minsk bei Wassilij Solotarjow Komposition studieren konnte. Nach dem Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion musste Weinberg abermals fliehen. Zusammen mit einem befreundeten Musiker schlug er sich bis nach Taschkent durch. Dort fand er eine Anstellung als Korrepetitor an der Oper und komponierte Ballettmusik und Operetten. Seine 1942 komponierte erste Symphonie wurde zwar erst 1967 uraufgeführt, verhalf ihm aber zum Kontakt mit Dmitri Schostakowitsch, der von dem Werk tief beeindruckt war.
Weinberg heiratete 1942 Natalja Wowsi-Michoëls, die Tochter des mit seiner Familie aus Moskau evakuierten Regisseurs und Schauspielers Solomon Michoëls. Das junge Paar übersiedelte 1943 nach Moskau, wo 1944 die Tochter Viktorija geboren wurde. Es entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen den Familien Weinberg und Schostakowitsch.
In den Jahren 1945 bis 1953 war Weinberg vielfältigen Anfeindungen ausgesetzt. Maßgeblich war weniger der Stil seiner Kompositionen - die Kritik daran war oft vorgeschoben - als seine polnisch-jüdische Herkunft und seine familiäre Verbindung mit
Solomon Michoëls, dem staatsfeindliche Umtriebe unterstellt wurden. Michoëls wurde 1948 bei einem fingierten Autounfall ermordet. Im Februar 1953 wurde Weinberg verhaftet unter dem Vorwand, er betreibe "jüdischen bourgeoisen Nationalismus". Er kam ein paar Wochen nach dem Tod Stalins (5.3.1953) dank der Fürsprache durch Schostakowitsch frei. Bis er sich als eigenständiger Komponist wieder etablieren konnte, vergingen aber noch einige Jahre. Zwischen 1948 und 1956 hatte er fast nur Zirkus- und Filmmusik komponiert. In den 1960er Jahren entstanden wichtige Werke wie die Symphonien Nr. 5-11, davon Nr. 6, 8, 9 und 11 mit Chor, und andere Vokalwerke. Sein bevorzugter Dichter war Julian Tuwim. 1968 wurden Mieczysław und Natalja Weinberg geschieden. Der Komponist heiratete 1970 zum zweiten Mal. Auch in den Jahren bis etwa 1987 war er sehr produktiv, wenngleich viele, auch große Werke, nicht aufgeführt wurden. Die letzten Lebensjahre waren von Krankheit gezeichnet, Weinberg komponierte aber fast bis zum Ende. Er starb am 26. Februar 1996 in Moskau.
Mieczysław Weinberg hinterließ ein umfangreiches Oeuvre, darunter mehrere Opern, 22 Symphonien, Konzerte (für Violine, Cello, Flöte, Klarinette, Trompete) und 17 Streichquartette. Als sein bedeutendstes Werk gilt die Oper Die Passagierin (1968), die in kluger, sehr differenzierter Weise das Trauma Auschwitz aufarbeitet. Das Libretto von Alexander Medwedew beruht auf einem Roman von Zofia Posmysz. Mit der verspäteten Uraufführung der Oper bei den Bregenzer Festspielen 2010 nahm die Wiederentdeckung Weinbergs Fahrt auf.
Manche Schreibweisen des Nachnamens wie Vainberg oder Vajnberg ergeben sich durch Rücktransliteration aus dem Russischen. Korrekt ist Weinberg, der Komponist verwendete in Polen auch die polnische Schreibweise Wajnberg. Auch beim Vornamen gibt es Verwirrung. Ein sowjetischer Grenzpolizist trug "Moisei" in die Papiere ein, weil er Schwierigkeiten mit dem polnischen "Mieczysław" hatte. Andererseits wuchs Weinberg nicht mit diesem Namen auf, sondern gab ihn sich selbst, um sich mit der polnischen Kultur zu identifizieren. In den 1930er Jahren nannten ihn Freunde und Bekannte Moniek, Mojsze oder Mojsiej.
Die Werke Weinbergs sind größtenteils beim Verlag Peer Musik zu beziehen:
[www.peermusic-classical.de]
Biografische Angaben, insbesondere zum Geburtsdatum und den Vornamen, entstammen der Weinberg-Biografie von Danuta Gwizdalanka, die 2020 unter dem Titel "Der Passagier" im Verlag Harrasowitz erschien (poln. Originalausgabe Poznań 2013).
Porträtiert bei musica reanimata im 67. Gesprächskonzert am 19. Mai 2005.