Kritikerpreis für Musik 2006


Aus der Begründung der Jury:

Den Kritikerpreis 2006 für MUSIK erhält
musica reanimata e.V., Berlin

Die Ehrung gilt einem Verein von Musikwissenschaftlern und Musikern, der eine in Deutschland einzigartige, notwendige und wenig beachtete Arbeit leistet. Mit der Verfolgung und Vernichtung zumeist jüdischer Künstler und ihrer als "entartet" verunglimpften Kunst fügten die Nationalsozialisten dem deutschen Kulturleben unheilbare Wunden zu. Die Lücken der Musikgeschichtsschreibung, die dadurch entstanden, sind bis heute nicht geschlossen. Als "Förderverein zur Wiederentdeckung NS-verfolgter Komponisten und ihrer Werke" hat sich musica reanimata zum Ziel gesetzt, diese ins Bewußtsein der musikalischen Öffentlichkeit zu heben. Sie werden nicht nur musikwissenschaftlich erforscht und publiziert, sondern auch mit engagierten Interpreten zur Aufführung gebracht. Die Form des Gesprächskonzerts ist dabei für einen das Verständnis befördernden Austausch mit dem Publikum besonders geeignet, zumal darin möglichst die überlebenden Künstler oder andere Zeitzeugen zu Wort kommen.

Die Arbeit des Vereins präsentiert immer wieder künstlerische Ergebnisse, weit über eine verdienstvolle "musikhistorische Archäologie" hinaus. So geht das allmähliche Bekanntwerden von in Lagern inhaftierten Komponisten wie Erwin Schulhoff, Viktor Ullmann oder Gideon Klein nicht zuletzt auf seine Initiative zurück, ebenso das neue Interesse für Berthold Goldschmidt, der im Londoner Exil eine neue Existenz aufbauen konnte, allerdings lange keine ernstzunehmenden Einladungen zur Rückkehr nach Deutschland erhielt. Veranstaltungen mit den Söhnen von Szymon Laks und Wladyslaw Szpilman führten in die widerspruchsvolle Welt von "Musik in Auschwitz und im Warschauer Ghetto". In der Begegnung zwischen dem Israeli Tzvi Avni und dem Palästinenser Habib Hassan Touma entstand ein quasi utopischer Moment der gelebten Toleranz und Verständigung.

In einer glücklichen Balance von gesellschaftspolitischer und ästhetischer Wirkung setzt sich musica reanimata für eine wenigstens posthume Geltendmachung der um ihre volle Entfaltung betrogenen Künstler ein, stellt sie dem kritischen Urteil der Gegenwart und trägt damit auch zur dringenden Belebung unseres Konzertrepertoires bei.

Isabel Herzfeld
Klaus Klingbeil
Frieder Reininghaus
JURY

Dieter Schnabel
I. VORSITZENDER


musica reanimata